Architectura navalis

Was verbindet die großen Segelschiffe des Barock (ca. 1575-1770) mit den Palästen Ludwigs XIV.? Die Ausstellung „Architectura navalis – Schwimmender Barock“ zeigt vom 11. Oktober 2018 bis 30. April 2020 die ausdrucksstarke und formengewaltige Epoche des Barock.

Schwimmender Barock

Aufgezeigt wird die Wechselwirkung von repräsentativen Schiffsgestaltungen und herrschaftlicher Gebäudearchitektur in Frankreich und welchen Einfluss diese auf die Leitmotive des Barock und seiner Spätform, des Rokoko, hatte. Im Mittelpunkt steht die Entwicklung der Schiffshecks, speziell im barocken Frankreich. Dort war der Schiffbau geprägt von strengen Organisationsstrukturen, hoch qualifizierten Künstlern und Wissenschaftlern sowie engen personellen Verbindungen zum Schlossbau. Exakt aus diesen Gründen lässt sich der Ursprung des Rokoko auf den Schiffbau Frankreichs zur damaligen Zeit zurückführen, so die These der Ausstellung.

Im Vordergrund eine Vitrine mit einem Model des Barockschiffes LE SOLEIL ROYAL, im Hintergund gerahmte Schiffszeichnungen.
Die LE SOLEIL ROYAL, in Dienst gestellt um 1690, gehörte zu den prächtigsten Linienschiffen von Ludwig XIV. Das Heck weist die typischen barocken Architekturmerkmale auf: drei Stockwerke, Erscheinungsbalkon, Giebel mit Hoheitszeichen.
Leihgabe Internationales Maritimes Museum Hamburg, Foto: SDTB / C. Kirchner

Architektur als Mittel zur Darstellung souveräner Macht

Zeichnung eines barocken Schiffshecks. Der Giebel des Schiffes LE BRILLANT zeigt das Porträt des Sonnenkönigs Luouis XIV.
Der Name des Schiffes LE BRILLANT bedeutet übersetzt „der Stahlende“ und ist eine Umschreibung des Beinamens „der Sonnenkönig“ von Ludwig XIV. Der Giebel des Hecks zeigt das Porträt des Sonnenkönigs. Entwurf von Jean Bérain, 1690.
© Musée national de la Marine, Paris

Insbesondere die absolutistischen Herrscher wie der Sonnenkönig Ludwig XIV. und sein Nachfolger Ludwig XV. betrieben die Inszenierung ihrer Machtstellung mit großem Aufwand. Dabei beschränkte sich ihre repräsentative Herrschaftsarchitektur nicht nur auf ortsfeste Bauten an Land. Auch die großen dreimastigen Segelschiffe wurden, insbesondere in ihrem weithin sichtbaren Heckbereich, nach Art einer Gebäudearchitektur entworfen. Aus dem bloß funktionalen, teils mit Dekor geschmückten Heckelement entwickelte sich eine regelrecht architektonisch gestaltete Schiffsheckfassade.

Mit dieser architektonisch geprägten Baukunst des Schiffes – der architectura navalis – begann ein neues Kapitel der Schiffbaugeschichte. Die Schiffe wiesen die für den Barock typischen Architekturmerkmale auf, die von Schlössern und Palästen bekannt sind: dreigeschossige Stockwerksgliederung, Erscheinungstüren und -balkone, Giebel, Portraitmedaillons, Risalite sowie Stütztrompen, Sockel und Verdachungen.

Übertragung von Land auf See und zurück

Gipsabguss eines Fragments einer Rocaille-Form, einer muschelförmigen Verzierung, die im Rokoko äußerst beliebt war.
Hier ist sie nur ein Fragment, und doch ist die Rocaille das Leitmotiv des Rokoko. Der Begriff „Rokoko“ leitet sich von ihr ab. Charakteristisch für die Rocaille sind die aus der Muschelrandform abgeleitete, geschwungene Gestalt, ihre Asymmetrie und Achsenverkippung. Gipsabguss nach dem Original von François de Cuvilliés d. Ä., Schloss Augustusburg, Brühl 1728.
Leihgabe Gipsformerei Staatliche Museen zu Berlin, Foto: SDTB / C. Kirchner

Durch eine Reihe kreativer Schritte wurden die architektonischen Bauteile und Gestaltungsprinzipien repräsentativer Gebäudefassaden auf den komplex geformten Schiffskörpern verwirklicht. Auch Dekorelemente, wie die früher schon auf Schiffen vorhandenen Muschelornamente, wurden in diesen Prozess einbezogen und besonderen Verformungen unterworfen.

In der Gegenrichtung zur Übertragung ortsfester Architektur auf Schiffe lässt sich für das Rokoko (Spätbarock) ein besonderer Rücktransfer vom Meer auf das Land rekonstruieren. Die aus der Schiffsarchitektur stammenden Asymmetrien, besonderen Gliederungen und Formgebungen – allen voran beim Motiv des Muschelrandes – hielten Einzug in die Innengestaltung repräsentativer Gebäude.

Prunkvolle Schiffsmodelle, Riesenmuschelschale und Zeichnungen

Auf 250 Quadratmetern sind hochwertige Schiffsmodelle, Kunstgegenstände, Entwurfszeichnungen und Architekturfragmente zu sehen. Höhepunkte der Schau sind ein Spantenmodell aus dem 18. Jahrhundert, eine Riesenmuschelschale mit circa 100 Zentimetern Durchmesser sowie die Reproduktionen eindrucksvoller Entwurfszeichnungen aus der Feder der bedeutendsten Schiffsgestalter Jean Bérain (1640-1711) und François-Antoine Vassé (1681-1736), die als Vorlagen für die realen Schiffe dienten.